11/2016
Was sind Waschbären?
„Das vorliegende Buch folgt keinem geraden Weg von Anfang bis Ende. Es geht auf die Jagd, und dabei stört es manchmal denselben Waschbär auf verschiedenen Bäumen oder verschiedene Waschbären auf demselben Baum auf – und manchmal auch etwas, was dann am Ende gar kein Waschbär auf keinem Baum ist. Mehr als einmal bockt es vor dem selben Hindernis und geht dann anderen Spuren nach. Oft trinkt es aus denselben Flüssen und stolpert durch eine unbarmherzige Landschaft. Und es zählt nicht die Beute, sondern das, was auf dem untersuchten Gelände erkundet worden ist.“ 1
Und so, wie Goodmans Buch auf dem untersuchten Gelände schnuppert und bockt, so streunt meine Arbeit und stöbert im Unterholz der Welt-Fragmente. Sie fragt, sie zweifelt, sie sucht und konstruiert, verwirft und baut erneut.
Die Fenster zu den Welten, die ich über die Medien Malerei und Zeichnung öffne, sind Fenster, die nach innen gehen. Dahinter liegen ausgedehnte Innenwelten, zuweilen bevölkert und möbliert. Das Bildpersonal scheint einträchtig, auch wenn die Zusammensetzungen der Figuren Konflikte erahnen lassen.
Innerhalb der Bilder, wie auch zwischen den Bildern, ist jedoch nicht nur das mehrdeutige Spiel der Figuren maßgebend. Grundlegend geht es um die formalen Relationen von Linie, Form und Farbe, von Durchlässigkeit, Dichte und Material und von Raum und Objekt auf dem Bildträger. Somit generieren die Bilder ihre Substanz ebenso sehr über die innerbildlichen Beziehungsstrukturen, die aus der Beschaffenheit der Malerei hervorgehen. Dieses Verhältnis durchdringt alle Bedeutungsebenen.
Die Themenschwerpunkte, denen sich meine Malerei zuwendet, kreisen - und auch die Fragestellung meiner Malerei selbst kreist. Sie kreisen in sich überlagernden Ellipsen um Konzepte von Identität, Interaktion und dem jeweiligen Dazwischen, dem aufgespannten Raum.
Transparente Grundierung und changierende Tuscheflächen schaffen die Struktur der Leere, die darauf gesetzte Kohlezeichnung kartographiert mögliche Zusammenhänge und die Ölmalerei materialisiert die Farbformen, die sich miteinander verhalten.
In der Drift der Narrative operieren die Bildsubjekte nach innen gerichtet, in Bezug zu sich selbst, dann in der Verschränkung mit dem außen herum. Die Figuren, Objekte und ihre Auslassungen brechen aus ihren gebräuchlichen Lesarten aus. Während sie sich gegenseitig rekontextualisieren, erzeugen sie sowohl komische als auch poetische Nuancen. Ihr charakteristisches „Unpassend-Sein“ mündet in einer Denkkollage, die die aufkommenden, unerwarteten Wahrnehmungen untersucht.
Indem vorhandene (Bild-)Systeme aufgelöst und ihre Bestandteile (mit anderen) neu organisiert werden, konstituieren sich neue Variationen von „Welten“.2 Das Betreten der jeweiligen Welten geschieht im Identifizieren und Gestalten ihrer Ordnungsmuster und Funktionen. Mit meinem Arbeitsansatz versuche ich, jenseits der Sprache, mehr über die vielfältigen Prinzipien herauszufinden, die dem „Erkenntnis-Material“ Welten einbegriffen sind.
Die fertigen Arbeiten sind sowohl ihr eigener Entstehungsprozeß, als auch das daraus resultierende Produkt. In einem „Scheitern - immer besser Scheitern“,3 im Sinne Samuel Beckets, entsteht Entwurf für Entwurf, der wieder nur ein Aspekt, nur ein Blickwinkel sein kann, nie „ein ganzes Ganzes“ - folgt eine Malerei, eine Zeichnung auf die andere. Die Arbeiten sind in jedem Grad ihrer Vollendung zugleich auch Fragment und lassen damit die unbegrenzte Möglichkeit offen, weiterzumachen.
Die Waschbären auf dem Baum halten Ausschau.
1 Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung, Frankfurt: Suhrkamp Verlag,1984
2Ebd.
3 “All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.”
Samuel Becket, Worstward Ho, New York: Grove Press, Inc., 1983